Der Begriff Musik

Jüngst führte ich eine Diskussion über den Begriff der Musik. Meine Gesprächspartnerin wollte gerne so etwas als Musik verstanden haben, was ich mit meiner Vorstellung von Musik nicht vereinbaren kann. Ich wies darauf hin, dass durchaus die genaue Formulierung der jeweiligen Definition wichtig ist. Da uns die doch sehr vage Formulierung in der Allmutter der Pseudoquellen nicht weiter half, wurde ich noch kurz vor Ende des Gesprächs als engstirnig bezeichnet und alle Sachlichkeit war dahin. Mein Problem mit der Definition von Wikipedia und der vieler Menschen ist, dass sie zu liberal sind. Wo zieht man die Grenze zwischen kreativem Schaffen und Zufall auf der einen beziehungsweise Algorithmus auf der anderen Seite?

Ich befürchte, dass solche Definitionen, die zum Beispiel elektronische Musik wie die oben Verlinkte  einschließen, auch algorithmisch erzeugte Tonfolgen als Musik bezeichnet. Musik ist für mich etwas Handgemachtes oder zumindest von Hand Machbares und einem kreativen Prozess entsprungen. Das Tippverhalten auf einer Tastatur zu vertonen fiele da nicht rein, genausowenig das Ergebnis eines deterministischen Algorithmus’. Dass diese meine Definition auch Probleme machen kann, fällt spätestens auf, wenn man sich zum Beispiel die Lexikon-Sonate oder ad lib ido anhört, die ich nicht als Musik bezeichnen kann, aber ein angenehmeres Hörerlebnis als mancher Inhalt der Charts liefern, die zu meiner Definition passen.

Ich möchte einwerfen, dass auch der Begriff handgemacht durchaus liberal zu handhaben ist. Ich bin zum Beispiel geneigt, Apparate wie diesen oder jenen als Instrument und das klangliche Erzeugnis somit als Musik zu bezeichnen. Andererseits könnte man sie auch nur als haptische Programmieroberfläche verstehen, womit der Klang dann algorithmisch und keine Musik wäre. Hier verschwimmt sicher die Grenze, da die Programmierschnittstellen unter Umständen ähnliche kontinuierliche Verwaltung wie ein herkömmliches Musikinstrument benötigen.

Auf der anderen Seite bleibt abzuwägen, ob Klang noch signifikant ist. Ich meine hier in gewisser Weise stochastische Signifikanz, soll heißen: Spielt man eine wie auch immer zufällig erzeugte Klangfolge und ein (meinetwegen modernes) Klavierstück ab, erkennt man einen wesentlichen qualitativen Unterschied? Wie chaotisch darf ein Erzeugnis sein, um noch Musik zu sein?

Ich tendiere dazu, eine Undefinierbarkeit der Begrifflichkeiten zu postulieren und jegliches Gespräch über Musik als Meinungsaustausch, nicht als Diskussion zu bewerten. Ich freue mich aber auf die sicherlich (hoffentlich?) eintreffenden Kommentare zum Thema, vielleicht hat ja jemand eine Lösung.

22 Comments.

  1. Vielleicht kann man es wie Knuth halten und zumindest Lieder unter einer zu wählenden Komplexitätsschranke als trivial ausschließen?

  2. Hmm, ich finde Musik kann durchaus algorithmisch erzeugt sein. Das Erstellen des Algorithmus wäre in diesem Fall der Akt der Kreativität.

  3. Das käme dann sicher auf die Art des Algorithmus’ an, oder? Ich kann gewisse harmonische Gesetzmäßigkeiten einprogrammieren und ansonsten (pseudo)zufällige Muster erzeugen lassen. Wäre das wirklich kreativ?

  4. Einzig Punk ist Musik!

  5. Eine schärfere Definition von Musik und Kunst herbeiführen um den Geschmack Anderer als falsch und kulturell wertlos zu diskriminieren halte ich auch nicht für sinnvoll. Wenn Menschen kulturell etwas erschaffen, was von anderen Menschen gerne konsumiert wird, reicht es meiner Meinung nach vollkommen als Rechtfertigung für diese Begriffe. Dabei ist doch egal, welche Werkzeuge, seien sie auch noch so komplex, dabei verwendet wurden. Wir haben auch nicht die Hände erfunden, die es ermöglichen eine Klaviertastatur zu bedienen.

  6. Jau, wenn du aus Zufallsmustern Tonfolgen baust ist es doch auch Musik, oder nicht? Wie grenzt du die Eingebung, die der Musiker morgens unter der Dusche hat von “echtem” Zufall ab?

    Und wo ziehst du die Grenze zwischen einem Komponisten, der Noten niederschreibt, und einem “Musikprogrammierer”, der ein Programm in seine wie auch immer geartete Maschine eingibt? Dort wo der eine ein Orchester hat und der andere einen Computer?

    Ist komponieren nicht auch eine Art Programmieren, die Partitur nicht auch ein Algorithmus?

  7. Ihr habt alle recht! Ich finde die Meinung pseudointellektueller postadoleszenter Kulturvortäuschungsnerdnazis auch wichtig für Defintion von Kultur.

  8. Die Frage nach der Grenze, Bernd, ist eben die entscheidende, auf die ich keine Antwort weiß.

    M Pate, ich glaube, du vermischst eine persönliche Gebrauchsdefinition mit dem Anspruch, eine allgemeingültige Definition aufzustellen. Letzteres hat hier, glaube mich, niemand versucht.

    Und seit wann ist Trolling eine intellektuelle Antwort auf Pseudointellektualität?

  9. Komisch dass du ein aleatorisches Stück, gespielt auf einem Klavier, als Musik anerkennst, aber elektronisch erzeuge Musik, die viel stärker klassischen Harmonielehren folgt, ausschließen willst.

    Gerade die typische elektronische Musik bedient sich doch (“sampling”) bei anderer, “echter” Musik. Um es provokativ zu sagen: Daft Punk hat mehr von Bach als Mahler (oder gar Cage)

    Bach war übrigens ziehmlich algorithmisch in seiner Musik, es gibt sogar ein Paket “Würfle einen eigenen Walzer zusammen” von ihm…

  10. Olf hat da doch eine sehr schöne persönliche Gebrauchsdefintion ausführlich dargestellt. Ich werde diese übernehmen und die Aufgabe, Punk zu definieren der Kulturstiftung des Bundes übertragen.

    Und nun zu etwas völlig anderem:
    Welche Farbe sollte ich denn lieber mögen, wenn ich einmal vorhabe meinen Kontrabass neu zu streichen? (Aber kommt mir bitte nicht mit Schwarz. Ist ja bekanntlich auch in Neon oder Pastell keine Farbe.)

  11. Olf bekommt von mir den goldenen Konstruktivismuspreis am langen oder kurzen Band, je nachdem wie er ihn sieht.

    Und Loki: Wieso willst du die Definitionshoheit von Punk abgeben? Definiere dir doch deinen eigenen Punk!

    Und ich finde: Bei Kontrabässen ist blau jederzeit rot vorzuziehen.

  12. Ach, Raphael. Trolling ist an sich weder intelligent noch eine Antwort auf eine sich nicht stellende Frage. Es erhebt sozusagen ausschließlich den Anspruch der Selbstgeltung oder Unterhaltung.
    Wenn ich mit diesen Zielen hier nicht erwünscht bin, habe ich wohl den Sinn dieses Blogs und im Speziellen diesen Eintrag falsch verstanden.
    Entschuldige bitte. Friede sei mit Dir!

  13. Anonymous Coward

    Mal eine ganz andere Richtung: Wer sagt denn, das die Definition von Musik den Entstehungsprozess einschließen sollte? Die Frage, ob es sich bei einem gegebenen Stück um Musik handelt, sollte allein vom Stück selbst abhängen.
    (Beim Punk sieht das natürlich ganz anders aus; hier ist die während der Herstellung verbrauchte Menge Dosenbier ein wichtiger Faktor.)

  14. Anonymous Coward, da stimme ich zu. Ich finde es eigentlich sehr schön, dass sich die Musik mit dem Aufkommen der technischen Möglichkeiten über die Beschränkungen klassischer Instrumente emanzipiert. Dem den “Musik”-Anspruch abzusprechen finde ich etwa so unpassend, wie zu sagen, dass 3D-Filme keine Filme mehr sind, nur weil sie nicht von echten Schauspielern gespielt werden. Kommt es bei diesen ohnehin rein technisch vervielfältigten Medien nicht mehr auf das Endprodukt als auf die Produktion an?

    Mal etwas anderes: Neulich warf sich die Frage auf, wo im Zeitaufwand die Grenze zu ziehen sei zwischen einer Wanderung und einem Spaziergang. Da gehen die Definitionen wohl auseinander. Aber nur weil es dafür keinen Begriff gibt, kann man damit dem (undefinierten) Überlang-Spaziergang oder der Zu-kurz-Wanderung nicht seine Berechtigung absprechen.

    Was ist also gewonnen dadurch, dass man den Musikbegriff einschränkt? Wieso fasst man ihn nicht so weit wie möglich und bezeichnet die Untermengen mit den gängigen Genre-Begriffen (“True Metal”, “Gangsta-Rap”, “Frühbarock”, “Alles ausser Daft Punk” usw.)? Denn was soll Daft Punk bitte sonst sein, wenn es keine Musik ist? Du kannst denen den Musikanspruch ebensowenig ansprechen wie dem Mittelding zwischen Spaziergang und Wanderung. :-)

    Ich schliesse mit einem Zitat der Blues-Brothers, frech kopiert von http://www.imdb.com/title/tt0080455/quotes :
    Elwood: What kind of music do you usually have here?
    Claire: Oh, we got both kinds. We got country *and* western.

  15. ey gUenthr und coward habens schön gesagt, wenigstens konstruktiv. und blues bros FTW !!111elf

  16. Das menschliche Gehirn nimmt Musik wahr, wenn ein für die eine Hirnhälfte erkennbarer Rhythmus und eine für die andere Hirnhälfte erkennbare Harmonie und Melodie vorhanden ist. Ob dies alles zufällig passiert, durch einen Algorithmus künstlich erzeugt wurde, oder ob deine Cousine auf der Blockflöte spielt, ist dem Hirn ziemlich egal.
    In Mainz kann man Musikinformatik studieren. Dort lernt man einige Algorithmen kennen. Und wenn der Studiengang schon MUSIKinformatik heißt, dann wird das ja wohl im weitesten Sinne was mit Musik zu tun haben ;-)

    Aber ich streite mich auch gerne darüber, dass Hip Hop etc. keine Musik ist. Genaugenommen ist es es aber leider doch :-/

  17. Ich würde dazu gerne erfahren, ob für dich, Loki, unrythmische Tonfolgen, bzw. Disharmonien ebenfalls eine Art von Ryhthmen bzw. Harmonie dastellen?

    Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Stücke, die gezielt Disharmonien benutzten, auch für manche als Musik durchgehen. Als (vlt. nicht optimales) Beispiel wäre hier ‘Kein Ohrwurm’ von den Wiseguys zu nennen, auch wenn man hier natürlich etwas davon beeinflusst ist, dass es die Wiseguys sind.

    Eine weitere Definition wäre: Musik ist eine Klang oder eine Klangfolge, zu deren Entstehung ein Gedankenprozess nötig war.

    Also auch die Programmierung eines Algorithmuses. Baustellenlärm würde dagegen nicht als Musik gelten, obwohl sie nach einigen vorrigen Definitionsansätzen dazu zählen wurde.

  18. @ i:
    Ich verstehe jetzt mal bewusst falsch:
    > Gedankenprozess + Klangfolge = Musik
    > Baustellenlärm würde dagegen nicht als Musik gelten
    Auch wenn man Bauarbeitern allgemein wenig Geistleistungen nachsagt: DENKEN tun sie schon während sie Lärm produzieren. Und sei es nur an das Seite-1-Girl und Beton.
    Ergo Baustellenlärm = Musik

    Was du wahrscheinlich meinst ist eine Art Autoren/Komponisten-Intention: Wenn ich die Absicht habe, Musik zu schaffen, dann ist das was rauskommt auch Musik.

    Konstruktivisten würden darauf antworten: Wieso hat nur der Komponist/Interpret das Recht, Musik zu definieren? Wenn’s MIR so passt ist es Musik, auch ohne Absicht des Erzeugers.

    Und die Grenze zwischen Baustellenlärm und Musik ist eh fließend ( vgl. Ambient, Post-Industrial, Underground, was auch immer man dem Kind für Namen gibt), und Presslufthämmer sind (auch) Musikinstrumente.

    Insofern finde ich die Definition eines wahrgenommenen Rhythmus und Melodie oder (Dis-) Harmonie sehr schön.

  19. M Pate, Spaß schadet nicht und ist erwünscht. Bei manchen Wortkonstruktionen bleibt mir allerdings das Lachen im Halse stecken und wird zu einem genervten Krächzen.

    Coward, ich ganz persönlich (!) finde, dass der Entstehungsprozess, also insb. Haptik und Intention, zur Definition gehören sollte. Mir ist aber bewusst, dass die Meinungen da weit auseinander gehen. Es gibt ja auch Menschen, die zufälliges Gekleckse auf Leinwand als hohe Kunst betrachten.

    Yoshi, der Schluss vom Namen des Studiengangs auf Sinnhaftigkeit der Inhalte ist sicher zulässig, ja? ;)
    Es gibt “Musik” jeder Stilrichtung, die auf meine Gebrauchsdefinition passt und welche, die das nicht tut. Komisch, ja, aber irgendwie auch fair.

    Freddy, die Definition “eines wahrgenommenen Rhythmus und Melodie oder (Dis-) Harmonie” kann imho nichts taugen, denn Wahrnehmung ist (zumindest mit heutigem Stand der Technik/Medizin) soweit ich weiß sehr subjektiv. Man müsste also mindestens ein “von jedem” oder “von jemandem” einbauen. Beides führt wohl leider zu einer trivialen Menge.
    Die Kriterien, die ich an den Entstehungsprozess lege, sind hingegen messbar, wenn man dem “Künstler” die Ehrlichkeit unterstellt, zuzugeben, ob er Intention hatte oder nicht. Sie werden nur leider von vielen Menschen reflexartig abgelehnt, weil ihnen am Herzen liegender Klangbrei nicht hineinfällt, ohne dass sie die Sinnhaftigkeit ernsthaft prüfen (mit welchem Ergebnis auch immer).

    Im Grunde scheinen wir uns ja alle einig zu sein. Eine allgemeine Definition für verschiedene Menschen und Zwecke ist nicht zu finden.

  20. @raphael:

    Interessante Argumentation…

    Wahrnehmung kann man sehr wohl messen, beispielsweise mit bildgebenden Verfahren: Man legt die Person in ein MRT und spielt ihr Geräusche mit und ohne Rhythmus vor. Der Unterschied (nicht Stärke sondern vor allem Verortung) der Gehirnaktivität ist signifikant.
    Jetzt hat man eine personengebundene Musikdefinition. Die kann man natürlich mit Operatoren wie Minimum, Maximum oder Median auf eine ganze Klasse von Individuen ausdehnen (interessante Erweiterung: nicht notwendigerweise nur Menschen!).

    Ein *Mess*verfahren für Intention hingegen ist mir nicht bekannt. Man kann höchstens Aussagen der Schöpfers (also Quellen) interpretieren. Das ist dann aber (unter Umständen, die du gerne mit “Ehrlicheit” wegbügeln möchtest) deutlich subjektiver als die Wahrnehmung von Rhythmus.
    Im Allgemeinen klappt das auch ganz gut, da hast du recht. “ceci n’est pas musique” ist dann natürlich gemein :-)

    Natürlich gilt immer (wie Prof. Wiehagen zu sagen pflegt): “Eine Definition ist niemals falsch oder richtig; sie ist nur nützlich oder unnütz.” Hauptsache schön gestritten, und einen Konsens zu finden ist hier ja nicht wirklich nötig, oder?

  21. Der Begriff der “planerischen Absicht” ist, glaube ich, juristisch so weit definiert — wenn auch in ganz anderem Kontext –, dass man darauf zurückgreifen kann. Fraglich ist, ob das weiterhilft.

    Genau Herr Wiehagens Statement ist zentral. Jede Musikdefinition sollte, um nützlich zu sein, eine Prüfung auf Einhaltung ermöglichen (ein MRT hinzuzuziehen taugt für den Alltag zB nicht wirklich) und eine nicht triviale bzw. nicht gänzlich zu der gängigen Verwendung disjunkte Menge beschreiben.

    Und nein, ein Konsens ist nicht nötig und scheint mir, wie gesagt, auch nicht möglich zu sein.

  22. Auch wenn es jetzt so aussieht als ob ich immer das letzte Wort behalten müsste:

    Ich bin grade in der FAZ (genauer: in der Besprechung des neuen Slayer-Albums) auf folgende thematisch durchaus passende Sätze gestoßen:

    “Vielleicht sind unsere Ohren inzwischen sogar aufgeklärt genug, dass wir uns für die Beschreibung von dergleichen nicht mehr mit ebenso kraftmeierischen wie koketten Ausdrücken Marke „Krach“ oder „Lärm“ abgeben müssen. Die letzten hundert Jahre Soundforschung [...] haben gezeigt, dass man wahrscheinlich überhaupt keine durchdringenden Geräusche machen kann, die nicht früher oder später schlicht schöne Musik werden wollen [...] Freejazzer haben dies alles immer gewusst, die Popmusik musste es sich erst erarbeiten, aber damit sind wir mittlerweile wohl durch.”
    (FAZ Feuilleton, http://www.faz.net/s/RubE219BC35AB30426197C224F193F54B1B/Doc~E136697F7606E49A78BAFF65EEB57590B~ATpl~Ecommon~Scontent.html)