Pflaster für Bahnfahrer

Montag morgens um halb sechs in den Zug zu steigen, um pünktlich um 10:00 Uhr in der Mathevorlesung zu sein, ist vielleicht von vorneherein ein beschissener Plan gewesen. Ich hatte zu wenig Schlaf, habewohl was Falsches gegessen und fühle mich bescheiden. Es kommt natürlich, wie es kommen muss: Daumen fängt zugeworfene Autotür, das Blut tropft, der Zug steht am Gleis. Da ein mit Sparpreis 50 erworbenes Ticket zwar günstig, aber dafür an einzelne Züge fest gebunden ist, steigen wir ein.

Ich will nun die Schwere der Verletzung nicht überdramatisieren; auf leeren Magen ist eine Daumenquetschung mit halb durchgerissenem Nagel aber keine schöne Sache. Insbesondere hatten wir natürlich kein Flickzeug dabei, geschweige denn etwas zum Kühlen. Ich bin stolz auf die Verletzte, die sehr gefasst blieb. Ich kenne auch Menschen, die zu solchen Anlässen zu jammernden Bündeln werden oder gleich den ganzen Zug vollkotzen. Was mich ärgert, ist die Tatsache, dass die Bahn AG offenbar mit derartigen Situationen überfordert ist.

Auf der Suche nach einem Pflaster bin ich durch den halben Zug gelaufen. Da jedes Auto einen Erstehilfekasten an Bord haben muss, war ich so naiv anzunehmen, dass es in einem Zug auch so etwas geben sollte. Nun, zumindest nicht in Regionalzügen. Zum Glück konnte ein freundlicher, mitreisender — nicht diensthabender! — Angestellter des Beförderungsunternehmens aushelfen, sodass wir die doch recht roten Taschentücher gegen eine provisorische Verpflasterung tauschen konnten.

Später sprach ich den Schaffner an und fragte, ob und inwiefern am Hauptbahnhof in Frankfurt ein Sanitäter oder dergleichen auf die Verletzung schauen könnte; als Laie weiß man ja nicht unbedingt, ob man lieber direkt einen Arzt aufsuchen sollte. Insbesondere wollte ich wissen, wie kulant ein zuggebundenes Ticket gehandhabt würde, sollten wir tatsächlich in Frankfurt einen Arzt in Anspruch nehmen müssen und mit den ganzen neun Minuten Umsteigezeit — ohne Verspätung gerechnet — nicht reichen. Er wusste nicht weiter, telephonierte aber mit der Zentrale.

Nein, am Hauptbahnhof in Frankfurt/Main gäbe es keine Möglichkeit der medizinischen Erst- oder Zweitversorgung. Wir könnten ja abwarten, wie es sich entwickelte, und gegebenenfalls aus dem IC heraus den Rettungsdienst rufen — und, was unausgesprochen blieb, natürlich damit den ganzen Zug anhalten. Auf meine Frage bezüglich des Tickets erhielt ich keine Antwort. So werden wir gleich nach drei Stunden Zugfahrt in Kaiserslautern ins Krankenhaus gehen und hoffen, dass sich schlampige keine Wundhygiene nicht rächt; in Zügen gibt es aus verständlichen Gründen kein Trinkwasser.

Dass nicht jeder Überlandzug medinizisches Material mitführt, dass im Regelfall verdirbt oder gestohlen wird, kann ich gerade noch so nachvollziehen. Wie kann es aber sein, dass es an einem der größten Verkehrsknotenpunkte Deutschlands nicht möglich ist, eine einfache Wunde zu versorgen? Wird für jedes aufgeschlagene Knie ein Krankenwagen gerufen? Und muss ich tatsächlich davon ausgehen, dass ich bei einer nicht lebensbedrohlichen, aber schmerzhaften und lästigen Verletzung mein Zugticket in den Wind schreiben kann? Liebe Bahn AG, das kann doch nicht euer Ernst sein.

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