Wehrpflicht oder nicht?

Werbecollage der Bundeswehr

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg will die Bundeswehr reformieren, was nun schon seit 20 Jahren überfällig ist. Dazu gehört auch, über die Wehrpflicht nachzudenken. Im Kontext ist oft von der sogenannten Wehrgerechtigkeit die Rede, also der Idee, dass alle jungen Männer irgendwie gleichartig behandelt werden oder zumindest die gleichen Chancen haben sollten. Tatsächlich taucht im Grundgesetz, Artikel 12, dieser Begriff nicht mal umschrieben auf. Dort steht wörtlich

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.

Es gibt also eine Instanz, die entscheidet, ob eine gegebene Person Dienst ableisten muss, und je nach Auslegung sogar, welchen Dienst. Willkür in dem Sinne, dass es keine verbindlichen Auswahlkriterien gibt, ist hier zunächst zugelassen. Den Anspruch auf Wehrgerechtigkeit kann man aber durchaus pragmatisch begründen. Die Politik bemüht sich, mehr Akademiker schneller auszubilden, es werden aber (gefühlt) bevorzugt Abiturienten eingezogen. Zahlreiche Männer leisten überhaupt keinen Dienst ab und haben damit (vermeintlich) Vorteile im Werdegang. Aktive Leistungssportler, die mal einen Kreuzbandriss hatten, werden ausgemustert, Unsportliche als tauglich erklärt. Diese Liste könnte man vermutlich fortsetzen; auf jeden Fall gehen diese Szenarien dem allgemeinen Gerechtigkeits- und damit Rechtsverständnis entgegen. Einige Zahlen und Texte zum Thema finden sich hier. Man kann sich außerdem auf das Gleichheitsgebot im Grundgesetz oder sogar gerichtliche Urteile stützen.

Für mich gibt es im Wesentlichen zwei Argumente, die gegen die Wehrpflicht in der derzeitigen Form sprechen. Das erste ist ein Standardargument: Wehrpflicht ist nicht mehr zeitgemäß. Es ist derzeit nicht abzusehen, dass wir ein stehendes Heer zur Landesverteidigung haben müssen, geschweige denn große Teile der (männlichen) Bevölkerung im Ernstfall mobilisieren müssen. Das ist eine Vorstellung, die mit Ende des Kalten Krieges und Globalisierung der Wirtschaft, spätestens aber mit der Ausweitung der EU in alle Richtungen obsolet geworden ist. Wir brauchen heute Spezialisten, die gewissen Aufgaben im Interesse unseres Landes im Ausland ausführen. Wenn jemand ernsthaft Krieg auf deutschem Boden führen wollte, glaube ich nicht, dass Laieninfanterie eine Rolle spielen würde.

Das andere Argument höre und lese ich leider sehr selten: Gleichberechtigung. Trotz dass in allen Bereichen des Lebens unter dem Denkmantel Gleichberechtigung getarnt Gleichbehandlung erzwungen wird, verbliebt im Grundgesetz tatsächliche Ungleichberechtigung, denn nur Männer werden zum Landesdienst herangezogen. Dies stellt einen so krassen Widerspruch zum derzeitigen Gesellschaftsbild dar, dass es mich wirklich wundert, dass daran nicht gerüttelt wird.

Brauchen wir Soldaten, um Sandsäcke zu stapeln? (Bild: phalanx Fotoagentur)

Was könnte eine Alternative sein, die verhindert, dass unsere Bundeswehr zu eine Armee der Perspektivlosen degeneriert? Nun, warum nicht für alle jungen Menschen, das heißt Männer und Frauen, ein Jahr Landesdienst vorschreiben? Dieser könnte bei der Bundeswehr, aber auch als Zivildienst durchgeführt oder auch, wie bisher üblich, durch Kindeszeugung oder Tätigkeiten bei Feuerwehr, TWK, Rotem Kreuz oder Vereinen ersetzt werden. Auch eine Grundausbildung im Katastrophenschutz für jeden ist denkbar, schließlich stellen Hochwasser und Stürme eine viel realere Gefahr für Deutschland da als ein militärischer Erstschlag. Die Idee, einen jungen Menschen für eine gewisse Zeit in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, finde ich nämlich durchaus in Ordnung; der Blick über den Tellerrand, der gerade von uns Studenten gefordert wird, wäre damit eingebaut. Und ich bin mir sicher, dass weiterhin Menschen sich für die Bundeswehr entscheiden würden, denn ein so unattraktiver Arbeitgeber ist sie nicht. Aus meinem Jahrgang wollten einige Zeitsoldat werden — darunter eine Frau — und ich selbst würde, vor die Wahl gestellt, lieber Wehr- als Zivildienst ableisten. Der entstehende Wettbewerb könnte außerdem die derzeit vorherrschenden Dumpinglöhne bekämpfen, wobei ich mir auch einen gesetzlich festgelegten Lohn vorstellen kann.

Vermutlich würde ein solches Modell daran scheitern, dass man gar nicht genug Arbeit für alle hat. Dann wäre die logische, gerechte Alternative in meinen Augen, jegliche Pflicht abzuschaffen. Auch das muss übrigens nicht zum totalen Verschwinden des Dienstes führen; schon heute entscheiden sich viele freiwillig, ein Soziales Jahr einzulegen. Wenn dann viele jammern, dieser oder jene soziale Dienst könnte dann nicht mehr aufrecht erhalten werden, dann muss ich mich wundern, warum selbige überhaupt von Zivildienstleistenden abhängen, während wir Millionen von Arbeitslosen haben. Das ist ein Symptom anderer Schieflagen, die aber nicht durch das kaputte Modell Wehrpflicht, wie wir es im Moment haben, zu reparieren sind.

4 Comments.

  1. Das kann ich ohne Einschränkungen so unterschreiben. Aber dass unsere Politik echte Gleichberechtigung nicht anstrebt, ist ja auch an anderen “Aktionen” erkennbar.

    lg

  2. Mir ist ein möglicher Grund für den Reformunmut in der Union eingefallen: Würde die Wehrpflicht abgeschafft, würden zahlreiche Stellen im öffentlichen Dienst obsolet. Das dürfte eigentlich kein Grund dagegen, müsst sogar ein Grund dafür sein, aber da greift natürlich Klientelpolitik.

  3. ‎”(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.”

    Schön, dass sie das können. Und was wird gemacht?
    Zunächstmal wird nach militärischen Kriterien gemustert. Dass diese Kriterien in frage zu stellende sind, hast du ja schon geschrieben, aber selbst, wenn der Kriterienkatalog nachvollziehbar und jedem einleuchtend wäre – er bleibt für den Militärdienst designed.
    Bin ich für den Militärdienst tauglich, hab ich danach die Wahl im Opt-out-Verfahren zur “Notlösung” “Zivildienst” “zurückzufallen”.

    Welch jämmerliche Wertschätzung dieses Dienstes.

    Und was macht derjenige, der gerne Zivi werden würde, aber leider gegen [insert EPA ingredient] allergisch ist? Klar, könnte FSJ machen, aber dann muss der Träger auf einmal nicht nur für den Sold aufkommen, sondern auch noch für Versicherung, pädagogisches Konzept etc.
    Das übernimmt bei Zivis ja schön das BAZ.

  4. Nun, Zivildienst in dieser Form ist eben Wehrersatzdienst im wahrsten Sinne des Wortes. Da finde ich es auch in Ordnung, dass es Zustände wie die gibt, die du als Missstände ausmachst. Zeitgemäß ist die derzeitige Lösung sicher nicht, da sind wir uns einig.